Der italienische Architekt Aldo Rossi beschreibt 1981, zu Beginn seiner wissenschaftlichen Autobiographie, einen Besuch in der Kirche Sant’Andrea in Mantua und dieser kurze programmatische Erlebnisbericht kann dazu dienen, das Thema des Vortrages zu illustrieren. Rossi sah in Mantua, „wie ein Nebel langsam in die Basilika eindrang“ – ein Nebel „so wie ich ihn gerne [als Kind] beobachtete, wenn er in die Galleria in Mailand hineinwallte.“ Dieser Dunst war für Rossi das unerwartete Element, das alles veränderte. Das Ereignis des Nebels brachte dem Architekten vor allem die Doppeldeutigkeit des italienischen Begriffs „tempo“ zu Bewusstsein – ein Wort, das bekanntermaßen sowohl das Wetter als auch die Zeit bezeichnet. Mit der erlebten „Temporalität“, das heißt mit dem sich vollziehenden ephemer-atmosphärischen Ereignis verlor die Architektur alle kalendarischen und topographischen, das heißt alle bestimm- und messbaren Determinatoren und trat in gänzlich anderer Form in das Bewusstsein des Erlebenden hinein. Im Jetzt der Erinnerung an die Kindheit verliert das Monument die eigene Identität und tritt als atmosphärebildend in eine personal gesteigerte Wirklichkeit hinein, eine Wirklichkeit, die gerade weil sei fern jeder Objektivierbarkeit liegt, für Rossi im erinnernden Erleben wiederum geschichtsbildend wirkt. Den Wirkungen solch atmosphärischer Temporalität wird sich der Vortrag zuwenden. Joseph Imorde ist Professor für Kunstgeschichte an der Universität Siegen.
Das MGKSiegen realisiert in Kooperation mit dem Lehrstuhl Kunstgeschichte der Universität Siegen vom 5. November 2020 bis zum 9. Januar 2021 die Vortragsreihe „Die Wolken und die Wolke“. Begleitend zur gleichnamigen Museumsausstellung sind Künstler*innen sowie Wissenschaftler*innen aus den Bereichen Kunstgeschichte und Kunstwissenschaft, Literaturwissenschaft als auch der visuellen Künste und des Designs eingeladen, zum Thema der Wolke zu sprechen.
Alle Vorträge finden online statt.