Hans Hartung
und die Fotografie
Über 35.000 Fotonegative befinden sich im Nachlass von Hans Hartung (1904–1989) – eine unglaubliche Zahl, von denen der Künstler nur ein Teil entwickeln ließ. Neben Porträt- und Landschaftsserien finden sich immer wieder auch abstrakte Fotografien oder Experimente mit Licht und Schatten.
Hans Hartung, der unbestritten zu den bedeutendsten Vertretern der gegenstandslosen Malerei des 20. Jahrhunderts zählt, organisierte seine Fotografien in zahlreichen Alben, die sowohl chronologisch als thematisch geordnet sind. Dazu sagte Hartung: „… ich habe alles fotografiert, was mich interessierte in dieser Welt: Menschen, Wolken, Wasser, Berge, Risse, Flecken, und alle Arten von Licht- und Schatteneffekten, die – manchmal – eine mehr oder weniger enge Beziehung zu meiner Malerei haben.“
Die Faszination für die Fotografie beginnt bei Hartung bereits in der Kindheit. Später, während seiner künstlerischen Ausbildung und in den darauffolgenden Jahren der intensiven Auseinandersetzung mit Malerei experimentiert Hartung weiter mit dem Medium. 1932 beginnt er direkt mit dem Negativ zu arbeiten, das er zerkratzt, belichtet und bemalt. Zu dieser Zeit können die Fotoapparate nicht die uns heute geläufige, spontane Art der Aufnahme leisten. Dies ändert sich mit der Entwicklung der Kleinbildkamera, die Hartung intensiv nutzt; oft mit zwei verschiedenen Apparaten (einer Minox und einer Leica) ausgestattet, nimmt er so die erwähnten Porträtserien, Landschaftsaufnahmen und abstrakten Fotografien auf.
In der Malerei erfand sich Hartung immer wieder neu. Insbesondere seit 1972, in seinem Atelier in Antibes, steigert sich seine Produktivität: unterstützt von bis zu sechs Assistenten malt Hartung bis zu einem Dutzend Bilder am Tag. Mit noch radikaleren Verfahren in seinen letzten Lebensjahren sind trotz teilweiser Lähmung und dem Leben im Rollstuhl Bilder in weniger als einer Minute fertiggestellt – eine Parallele zur Schnelligkeit der fotografischen Methode. Diese spannende Beziehung zwischen den Medien Fotografie und Malerei wird in der Ausstellung exemplarisch durch die Gegenüberstellung mit Werken aus der im Museum beheimateten Sammlung Lambrecht-Schadeberg beleuchtet. Auf diesem Weg werden Werk und Schaffen des ersten Rubenspreisträgers der Stadt Siegen von 1958 neu wahrgenommen.
Im Vordergrund der Siegener Präsentation stehen die Fotografien Hartungs, die in dieser Form bisher noch nie öffentlich gezeigt wurden. Darüber hinaus wird die fotografische Praxis Hans Hartungs untersucht. Neben der Frage nach der Ordnung des Materials spürt die Ausstellung im Museum für Gegenwartskunst Siegen den Fragen nach dem Verhältnis von Bild und Serie, Abstraktion und Figuration sowie der Bilderzeugung durch verschiedenste Apparaturen nach.
Des weiteren belegen zwei dokumentarische Filme über Hans Hartung eindrucksvoll die gestische Arbeit des Künstlers: der erste, ein 16 mm Film, von Alain Resnais und Madeleine Rousseau, betrachtet Hartung in seinem Pariser Atelier; der zweite, ein Videofilm, der kurz vor Hartungs Tod 1989 im Atelier in Antibes enstand, zeigt den körperlich bereits stark beeinträchtigten Künstler, wie er mit der Gartenspritzpistole virtuos großformatige Werke schafft.
Die Ausstellung wurde in enger Zusammenarbeit mit der Fondation Hartung Bergman in Antibes realisiert.