Cy Twombly
Von geöffneten, geschlossenen und gekritzelten Fenstern
„Wie hältst Du es mit dem Fenster?“ So lautet eine der Kernfragen der europäischen Malereigeschichte, die sich auch Cy Twombly (1928–2011) gestellt hat.
Seit 1957 taucht das Motiv des Fensters in Cy Twomblys Werken immer wieder auf. Anlässlich der ersten Präsentation des Gemäldes „Untitled (Munich)“ von 1964 im MGKSiegen kann seine Beschäftigung mit dem Fenstermotiv nun an einer wichtigen Werkgruppe aus der Sammlung Lambrecht-Schadeberg nachvollzogen werden.
1436 beschrieb der Maler und Kunsttheoretiker Leon Battista Alberti in Zentralperspektive gefertigte Gemälde erstmals als geöffnete Fenster. Seit dem 20. Jahrhundert wurde dieser Durchblick jedoch wieder in Frage gestellt; die undurchdringliche Flächigkeit des Bildes wurde als Kennzeichen von Fortschritt deklariert.
Cy Twombly greift das Motiv des Fensters wieder auf und setzt es gezielt ein. Bei „Leda and the Swan“ (1963) findet sich statt einer antiken Erzählung nur noch ein orgiastischer Farbwirbel. Das kleine Fenster erscheint wie ein Symbol für die nicht mehr erkennbare Erzählung. „Untitled (Munich)“ enthält gleich vier verschiedene Fenster. Sie wirken wie von den Farbschlieren in den unbestimmten Bildraum hinauskatapultiert, in den sie sich öffnen. Schließlich sind die Fenster in „Untitled (Rome)“ (1966) vielfach vermehrt und wie funktionslos hintereinander gestapelt. Die schwarze Bildtafel wirkt zunächst wie eine undurchdringliche Wand, die der Maler aber durch die unzähligen gemalten Fenster in einen erdachten Tiefenraum öffnet.
Mit seinen Fenstern gibt Twombly keine eindeutige Antwort auf die Kernfrage der Malerei. Sie sind zu Zeichen geworden, die für das moderne Nachdenken über das Bildermachen stehen und dabei ebenso die lange Tradition dieser Überlegungen aufrufen.
Cy Twombly (1928–2011) wurde 1987 mit dem 8. Rubenspreis der Stadt Siegen ausgezeichnet. Der gebürtige US-Amerikaner lebte seit den 1960er Jahren in Rom und ist einer der Hauptvertreter der gestisch abstrakten Malerei seit 1950. Sein malerisches, grafisches, fotografisches und skulpturales Werk ist weltweit in wichtigen Museumssammlungen vertreten und wurde in zahlreichen Einzelausstellungen und Retrospektiven gezeigt. Die im MGKSiegen beheimatete Sammlung Lambrecht-Schadeberg umfasst Gemälde, Skulpturen und Fotografien von Twomblys New Yorker Frühwerk bis zu seinem in Italien geschaffenen Spätwerk.
Das neue Ausstellungsformats „Studiolo“ versteht sich als ein dynamischer Raum innerhalb der Sammlung des MGKSiegen. Hier werden zukünftig in regelmäßig wechselnden Ausstellungen einzelne Schwerpunkte und Werkgruppen der Sammlung Lambrecht-Schadeberg in den Fokus genommen.
Kurator
Prof. Dr. Christian Spies