Bernd und Hilla Becher
Fachwerkhäuser des Siegener Industriegebietes
„Wir hatten das Glück, noch sehr viele Konstruktionen aus der wichtigsten Zeit ihrer Entwicklung photographieren zu können. Hätten wir später mit unserer Arbeit angefangen, wären die Konstruktionen aus dem 19. Jahrhundert gar nicht mehr vorhanden gewesen und diejenigen aus den 1920er und 1930er Jahren schon sehr stark verändert.“
Bernd und Hilla Becher
In vielen Ortschaften rund um Siegen sowie in der Stadt selbst stehen die sogenannten Siegerländer Fachwerkhäuser. Die meisten von ihnen wurden über die Jahre völlig verkleidet oder durch Anbauten erweitert. Doch im Kern und hinter den Fassaden verbergen sich die für das Siegerland typische Fachwerkkonstruktion aus Holzbalken und Gefachen.
Das Künstlerehepaar Bernd und Hilla Becher fotografierte diese Gebäude in den Jahren 1959 bis 1978 und verhalf ihnen somit zu internationaler Berühmtheit. Wer aber waren Bernd und Hilla Becher? Was genau hat es mit den Siegerländer Fachwerkhäusern auf sich? Und was ist eigentlich die Becher-Schule?
Auf dieser Seite lassen sich viele Hintergründe über Leben und Werk des Künstlerpaares entdecken. Eine umfassende Auswahl an Fotografien, Kurztexten und ein Podcast bringt allen Interessierten die Kunst der Bechers und allen voran die berühmten Fachwerkhäuser näher.
Bernd und Hilla Becher
Hilla, geb. Wobeser (*1934 in Potsdam, †2015 in Düsseldorf) und Bernd Becher (*1931 in Siegen, †2007 in Rostock) wurden als Fotografenehepaar berühmt. Große nationale und internationale Bekanntheit erlangten sie mit ihren Schwarz-Weiß-Fotografien von industriellen Gebäuden, die im Zuge des regionalen Strukturwandels drohten stillgelegt oder abgerissen zu werden. Das Interesse der Bechers galt ausschließlich der Fotografie von Zweckbauten und ihrer Einbindung in die Landschaft.
Der gebürtige Siegener Bernd Becher wollte ursprünglich Buchillustrator werden und hatte bereits Ende der 1950er Jahre begonnen, die Demontage ehemals wichtiger Zechen in seiner Heimat in Zeichnungen festzuhalten. Hilla Becher war ausgebildete Fotografin, brachte also die notwendigen Kenntnisse der fotografischen Praxis mit und war darüber hinaus schon früh an der Ästhetik industrieller Objekte und Formen interessiert.
Gemeinsam machten sie es sich daher zur Aufgabe, vom Abriss bedrohte Industrieanlagen, Gebäude und ganze Landschaftsstriche zu fotografieren.
Künstlerische Entwicklung und Werk
Das Künstlerpaar begann Ende der 1950er Jahre zunächst im Siegerland die für die Region typischen Fachwerkhäuser zu fotografieren. Später konzentrierten sich die Bechers auch auf das Fotografieren anderer Zweckbauten, also beispielsweise Zechenanlagen, Hochöfen, Förder- oder Wassertürme. Dafür waren sie mit ihrer Kamera nicht nur in Deutschland unterwegs, sondern ebenso unter anderem in Großbritannien, Spanien und den USA. Ihre Fotografien sind heute Teil vieler Sammlungen auf der ganzen Welt.
Sie wollten zum einen den damaligen Zustand der Gebäude festhalten und zum anderen auf die charakteristischen Merkmale der Bauwerke hinweisen. Dies gelang Bernd und Hilla Becher insbesondere dadurch, dass sie von einem Gebäudetyp eine ganze Reihe von Aufnahmen, also eine Serie anfertigten. Sie nannten diese Form der Zusammenstellung ihrer Bilder „Typologien“. Ähnlichkeiten und Unterschiede treten in der Gegenüberstellung der Objekte deutlich hervor. Industriegebäude und scheinbar banale Bauwerke erhalten somit eine neue ästhetische Qualität, was zuvor keine Architekturfotografie so deutlich zu leisten vermochte. Daneben prägte sich für die Arbeit der Bechers ein weiterer Begriff, vor allem für ihre fotografischen Aufnahmen von industrieller Architektur. „Anonyme Skulpturen“ wurden unter anderem die Fotografien von Hochöfen oder Fördertürmen bezeichnet, weil sie in den Industriearchitekturen einen skulpturalen Wert erkannten und ihre Erbauer jedoch nicht bekannt wurden.
„Ich sehe schon jede Art von Foto auch als künstlerischen Prozess. Die Art wie man es macht und die Art wie man es auffasst und auch darstellt, präsentiert und so weiter, das ist schon ein kreativer Prozess, aber das Handwerk spielt natürlich auch eine ganz große Rolle dabei.“
Hilla Becher
Fotografisches Verfahren
Bernd und Hilla Bechers Schwarz-Weiß-Fotografien sind heute fester Bestandteil der Kunst- und Fotogeschichte. Sie haben einen hohen Wiedererkennungswert, denn für ihr fotografisches Verfahren wandten sie eine ganz bestimmte Technik an. Das Ehepaar fotografierte in den Anfangsjahren mit einer verstellbaren Mittelformatkamera, die Negative im Format 6 × 9 cm ermöglichten. Später arbeiteten sie mit einer Großbildkamera, auch Plattenkamera genannt, mit der analoge Fotografien im Negativformat von 13 × 18 cm entstanden.
Einige Aspekte galt es für die Bechers beim Fotografieren zu beachten: Sie fotografierten fast ausschließlich im Frühjahr oder Herbst bei bedecktem Himmel und neutralem Licht, denn so gab es weniger Schatten. Außerdem war es wichtig, dass große Bäume die Sicht auf die Gebäude nicht mit ihren Blättern verdeckten. Deswegen wählte das Paar immer auch einen möglichst freien Standpunkt, der eine leicht erhöhte Perspektive aus einer gewissen Distanz erlaubte. Mithilfe dieser „Regeln“ konnten Bernd und Hilla Becher ihre Objekte immer in einem bestimmten Ausschnitt fotografieren, sodass eine spätere Vergleichbarkeit der Fotografien gewährleistet war.
Fachwerkhäuser des Siegener Industriegebietes
In Kreuztal, Geisweid und Weidenau sowie in Eiserfeld, Niederschelden und in Herdorf: Bernd und Hilla Becher fotografierten die typischen Fachwerkhäuser in zahlreichen Ortsteilen und Gemeinden um Siegen herum sowie auch in der Stadt selbst. Sie begannen damit 1959 und schlossen ihre dortige Arbeit 1978 ab. Entstanden ist eine Sammlung von mehreren hundert Fotografien. Sie alle zeigen in unterschiedlichen Ansichten Fachwerkhäuser des Siegener Industriegebietes und wurden in einem Bildband bereits 1977 veröffentlicht. Speziell für die Eröffnung des Museums für Gegenwartskunst Siegen im Jahre 2001 stellte das Künstlerpaar aus diesem Fundus eine umfangreiche Fotogruppe aus 13 Typologien, arrangiert aus 147 Einzelansichten, zusammen. Heute gehört die Fotogruppe zur Museumssammlung.
Bernd und Hilla Becher hatten von Anfang an die Fotografien der Fachwerkhäuser in einzelne Kategorien eingeteilt: Sie unterschieden je nach fotografierter Hausseite. So gibt es Aufnahmen der Straßenansicht und der Rückseiten, aber auch der Giebelseiten. Manche Häuser waren für das Ehepaar schließlich so gut zugänglich, dass sie sogenannte „Abwicklungen“ durchführen konnten. Das bedeutet, dass ein Bauwerk in einem 45-Grad-Winkel von unterschiedlichen Standpunkten aus fotografiert wurde. Somit ergaben sich mitunter bis zu acht Ansichten desselben Hauses.
Das Siegerländer Fachwerkhaus
Eigenschaften der regionalen Bauweise
Die typischen Siegerländer Fachwerkhäuser finden sich in einem Radius von etwa 30 km rund um die Stadt Siegen herum. Heute sind sie manchmal nicht mehr als Fachwerkhäuser zu erkennen, weil die Fassade neu verkleidet wurde oder die Eigentümer*innen starke Umbaumaßnahmen durchgeführt haben. Aber auch schon in den 1960er und -70er Jahren, als Bernd und Hilla Becher mit ihrem VW-Bus durch das Siegerland fuhren um die regionalen Bauten zu fotografieren, waren vielerorts die Fassaden der Straßenseite mit Schieferplatten bedeckt, um die Hauswand vor Wind und Wetter zu schützen. Als die Häuser Ende des 19. Jahrhunderts errichtet wurden, waren die Fachwerke jedoch sichtbar.
Charakteristisch für das Siegerländer Fachwerk ist die sogenannte riegellose Bauweise. Das bedeutet, dass möglichst wenig Querstreben Verwendung fanden. Im 19. Jahrhundert hatte sich die Region, ähnlich wie das Ruhrgebiet, im Zuge der europaweiten Industrialisierung zu einem Hauptproduktionsort von Eisen und Stahl entwickelt. Der Bedarf an Rohstoffen war zu einem großen Teil für industrielle Zwecke vorgesehen, sodass für den Hausbau sowohl die Wahl des Holzes wie auch die Anzahl in begrenzten Mengen zugeteilt wurde. Dadurch entstanden die als „schlicht“ oder „schmucklos“ bezeichneten Häuser im Siegerland. Dekorative Hölzer oder andere nicht notwendigen Elemente durften nicht verbaut werden.
„Die Reaktionen der Leute waren bei unseren Foto-Kampagnen: Was ist das denn? Das sind doch Arme-Leute-Häuser! Ja – zum größten Teil Bergarbeiter, Hüttenarbeiter und Landwirte und meistens beides zusammen.“
Hilla Becher
Rundgang in Eiserfeld
In manchen Ortschaften der Siegener Umgebung stehen auffällig viele Fachwerkhäuser. Ein Beispiel ist Eiserfeld, heute ein Stadtteil im Südwesten Siegens. Hier war auch die Eiserfelder Hütte gelegen, eine Produktionsstätte für Eisenerz, die im Zuge der Industrialisierung im Siegerland in der Mitte des 19. Jahrhunderts rasch an Größe und Absatz gewann. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass sich auch immer mehr Arbeiter, also Bergleute und auch Handwerker, in Eiserfeld ansiedelten.
Unser Rundgang umfasst 20 Fachwerkhäuser, die alle vom Zentrum Eiserfelds gut fußläufig erreichbar sind. Diese Häuser wurden zwischen 1960 und 1972 von Bernd und Hilla Becher fotografiert und sind Teil der Reihe „Fachwerkhäuser des Siegener Industriegebietes“.
Mit einem Klick auf die Buchstaben A–T können Sie den genauen Standort der Gebäude abrufen. Zu jedem Haus erhalten Sie Informationen beispielsweise zum Baujahr oder zur Architektur. Die schwarz hinterlegten Marker enthalten zusätzlich Audiobeiträge. Anhand einer fotografischen Gegenüberstellung der heutigen Ansicht mit den Becher-Fotografien von damals lassen sich die baulichen Veränderungen der letzten 60 Jahre nachvollziehen.
Folgen Sie mithilfe der Karte dem Rundgang in Eiserfeld und gehen Sie auf den Spuren der Bechers, um die Fachwerkhäuser zu betrachten! Ein kleiner Tipp: Die beste Perspektive haben Sie übrigens immer von der gegenüberliegenden Straßenseite.
Bitte beachten Sie, dass die Häuser bewohnt sind. Respektieren Sie daher bitte die Privatsphäre der Bewohner*innen. Das Betreten der Privatgrundstücke ist nicht gestattet. Vielen Dank für Ihre Rücksichtnahme!
Die Tableaus
Auf Grundlage ihrer Fotografien von Hochöfen, Förder- und Wassertürmen haben Bernd und Hilla Becher „Typologien“ zusammengestellt. Das Paar wählte zur Anordnung der Einzelbilder eine ganz bestimmte Reihenfolge. Die Fotografien wurden von den Bechers in Reihen oder als 9er, 12er oder 15er Blöcke arrangiert und präsentiert. Es handelt sich dabei um Anordnungen von Einzelfotografien, die jeweils ein Objekt des gleichen Typs zeigen. Diese vorgeschriebene Reihenfolge und Gruppierung der Aufnahmen betrifft vor allem die Hängung der Bilder in Ausstellungen. Für jede Typologie existieren genaue Anleitungen, die vorgeben, in welcher Abfolge welche Fotografie an der Wand zu hängen hat. Die Abstände zwischen den einzelnen Fotografien beträgt beispielsweise grundsätzlich 1,50 cm. Die Typologien ermöglichen den Betrachter*innen ein vergleichendes Sehen und erschließen eine neue Perspektive auf die Alltagsarchitekturen.
Auch in der Sammlung Gegenwartskunst des MGKSiegen finden sich Typologien. So werden die „Watertowers (Wassertürme)“ (1988), die „Coal Mine Tipples (Fördertürme), Pennsylvania, USA“ (1974–1978) und die „Fachwerkhäuser des Siegener Industriegebietes“ (1959–1978) nach den exakten Vorgaben der Bechers in Ausstellungen gehängt.
Die Anordnung und Gliederung der Fotografien, die Motive der gleichen Bauweise zeigen, erleichtert das vergleichende Sehen und Betrachten.
Industrielle Landschaften
In den frühen 1960er Jahren widmeten sich Bernd und Hilla Becher den industriellen Anlagen im Siegerland: der „Charlottenhütte“ in Siegen-Niederschelden, der „Grube San Fernando“ in Herdorf sowie der „Hainer Hütte“ in Siegen Mitte. Dabei handelte es sich um Industriestandorte, an denen Eisenerz verhüttet wurde. Große Förderanlagen und Hochöfen, Schächte sowie Gebäude zur Erzaufbereitung prägten die Umgebung der Region. Bis zu tausend Arbeitsplätze hatte es in den Hochzeiten des Bergbaus im Siegerland gegeben. Doch die Anlagen wurden schon vor Jahrzehnten stillgelegt, weil das Beziehen des Erzes aus dem Ausland trotz langer Transportwege günstiger war. Während des Zweiten Weltkriegs wurden viele Standorte von Bomben zerstört und später auch bewusst abgerissen, da sie keinen Nutzen mehr hatten.
Von 1961 bis 1963 fotografierten Bernd und Hilla Becher jeweils die genannten Hütten sowie die Grube, die damals noch bestanden, jedoch größtenteils schon außer Betrieb waren. Es handelt sich um neun Aufnahmen, die unter dem Titel „Industrielle Landschaften“ zusammengefasst sind und Teil der Sammlung Gegenwartskunst des MGKSiegen sind. Aus größerer Distanz hat das Ehepaar Schwarz-Weiß-Fotografien dieser Landschaften gemacht, die jeweils die Anlagen im Fokus haben. In einiger Entfernung sind Wohnhäuser sowie die Höhenzüge der Siegener Landschaft zu erkennen. Darüber hinaus befinden sich in der Sammlung des MGKSiegen ebenfalls Fotografien der Eiserfelder Hütte sowie der Birlenbacher Hütte, die beide 1972 aufgenommen wurden. Hierbei handelt es sich ebenfalls um mehrteilige Serien, in deren Mittelpunkt die Industriebauten stehen.
„Bei den Industrielandschaften ging es uns in erster Linie darum, die Objekte zu verorten, um visuell nachvollziehen zu können, in welcher Anlage und an welchem Ort sich der jeweilige Förderturm oder Hochofen befunden hat. Dadurch lassen sich auch die Gesamtansichten wieder thematisch ordnen und vergleichen.“
Bernd und Hilla Becher
Fördertürme
Neben den „Fachwerkhäusern des Siegener Industriegebietes“ und den „Industriellen Landschaften“ befinden sich in der Sammlung des MGKSiegen auch die „Coal Mine Tipples (Fördertürme), Pennsylvania, USA“. Dabei handelt es sich um eine Typologie von 22 Einzelfotografien, die Bernd und Hilla Becher 1974 bis 1978 im US-Bundesstaat Pennsylvania aufgenommen haben.
Bei Betrachtung der Fotografien fällt auf, dass die Coal Mine Tipples kaum Ähnlichkeit mit den massiven Fördertürmen haben, die zum Beispiel aus dem Ruhrgebiet bekannt sind und auch von den Bechers fotografiert wurden. Stattdessen wirken sie fragil und provisorisch. Genau darin lag auch ihr Zweck, denn Bergmänner, die im Zuge der Weltwirtschaftskrise ihre Arbeit verloren hatten, bauten diese Fördertürme behelfsmäßig und mit gefundenen Hölzern wieder auf, um weiterhin mit dem Abbau von Steinkohle Geld zu verdienen. Das war verboten, doch sicherte den Arbeitern und ihren Familien die Existenz.
Wassertürme
Eine weitere Typologie in der Sammlung Gegenwartskunst des MGKSiegen stellen die „Watertowers (Wassertürme)“ dar, die Bernd und Hilla Becher 1988 zusammenstellte. Es sind 21 Aufnahmen von Wassertürmen, die in Deutschland, aber auch in anderen Ländern wie Frankreich oder den USA gemacht wurden.
Auch hier wandte das Paar wieder die gleiche Systematik an, die schon von den Siegerländer Fachwerkhäusern bekannt ist: Es wurde bei gleichmäßigem Licht mit bewölktem Himmel und immer aus einer gewissen Distanz heraus fotografiert. Aufgrund der unausweichlichen Höhe der Objekte gelang es den Bechers jedoch nicht immer, möglicherweise störendes Beiwerk aus ihren Fotos herauszuhalten. Bei genauem Hinsehen werden daher manchmal Straßenschilder, Autos, oft angrenzende Gebäude und sogar Menschen sichtbar! Manchmal lassen sich die Wassertürme sogar direkt verorten, indem beispielsweise ein am Turm angebrachtes Schild auf den Ort Diepholz verweist. Für das Ehepaar Becher stand jedoch die Vergleichbarkeit der Einzelobjekte im Fokus ihrer Arbeit. Gemeinsamkeiten und Unterschiede der „Watertowers (Wassertürme)“, jener Gebäude, die einen rein praktischen Nutzen hatten, nämlich die Speicherung von Wasser für die Bevölkerung, lassen sich im direkten Vergleich der Fotografien gut erfassen.
Die Becherklasse am Beispiel von Werken aus dem MKGSiegen
„Becherklasse“, „Düsseldorfer Fotoschule“ oder „Becher-Schule“: All diese Begriffe sind eine Bezeichnung für eine Gruppe von Kunststudierende, die in der Klasse von Bernd Becher an der Düsseldorfer Akademie studiert haben. Becher war 1976 als Professor für Fotografie an die Hochschule berufen worden. Somit war das erste Studium an einer deutschen Kunstakademie entstanden, das sich ausschließlich der Fotografie als künstlerische Praxis widmete! Zwar war ausschließlich Bernd Becher als Lehrender angestellt, doch er vermittelte das fotografische Werk, das er gemeinsam mit seiner Frau erarbeitete und dessen Erfolg ihnen beiden gleichermaßen zukam.
Die ehemaligen „Becher-Schüler*innen“ sind heute selbst weltweit bekannt und mit ihrer Kunst sehr erfolgreich. Trotz des Oberbegriffs „Becher Schule“ ist ihre Kunst ist dennoch als eigenständig und größtenteils losgelöst von der ihrer Lehrenden zu bezeichnen. Denn ihre fotografische Arbeitsweise unterscheidet sich von jener der Bechers: Oft handelt es sich um großformatige und vor allem Bilder in Farbe, die mitunter digital entstehen und auch nachbearbeitet werden. Nachvollziehen lassen sich die einzelnen Arbeitsweisen anhand der Sammlung Gegenwartskunst des MGKSiegen. Sie umfasst Werke der Becher-Schüler*innen Götz Diergarten („Ohne Titel (Ravenoville)“, 2000), Bernhard Fuchs („Portrait-Fotografien“, 1994–2004), Andreas Gursky („Schiesser“, 1991), Candida Höfer („Bibliotheken“, 2002/2003; „Venezianische Innenräume“, 2003), Simone Nieweg („Landschaft und Gartenstücke“, 1990–2001) und Thomas Struth („Paradise“, 1998–2000).
Wirkungsgeschichte der Bechers auf die künstlerische Fotografie
Ohne es Ende der 1950er Jahre geahnt zu haben, zählen Bernd und Hilla Becher heute zu den bekanntesten und einflussreichsten Künstler*innen der Gegenwart. Mit ihrer Schwarz-Weiß-Fotografie industrieller Bauten und Landschaften, der sachlichen und distanzierten Sichtweise auf zweckdienliche Objekte und der Kategorisierung ihrer Fotografien in „Typologien“ haben die Bechers nachfolgende Generationen von Fotograf*innen sowie alle Betrachter*innen entscheidend geprägt. Ihre Arbeiten ermöglichten ein neues Sehen, das das Sichtbare verwandelt.
Erstmals wurde das Medium der Fotografie in Fachkreisen auch als Kunst wahrgenommen und anerkannt. Obgleich die Arbeit des Ehepaars auch Kritik erfuhr, ließen sie sich nicht in ihrer Vorgehensweise beirren und blieben ihrem eigenen Stil stets treu.
1972 waren Bernd und Hilla Becher erstmals auf der documenta-Ausstellung 5 in Kassel vertreten, sie stellten nicht nur in namhaften Galerien und Museen in Deutschland aus, sondern ebenso in den USA.
In Tausenden von Aufnahmen hat das Künstlerpaar Industriearchitekturen dokumentiert und dadurch eine damals bereits im Verschwinden begriffene Kulturlandschaft fotografisch festgehalten. Ihre Fotografien sind Zeugnis einer Phase der Industrialisierung, als die Schwerindustrie das Leben der Menschen in Europa und den USA prägte. Das Werk von Bernd und Hilla Becher erhält damit über seine künstlerische Wertschätzung hinaus eine weitreichende kulturhistorische Bedeutung.
Das Feature entstand im Rahmen des Projektes „Museum Digital“, gefördert vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen.
Texte und Projektkoordination: Nora Memmert
Redaktionelles Team: Ann-Katrin Drews, Ines Rüttinger, Stefanie Scheit-Koppitz, Christian Spies, Thomas Thiel
Englische Übersetzung: Lucinda Rennison
Audioproduktion: Tonwelt GmbH 2020