Christine Sun Kim und Thomas Mader
Find Face
Christine Sun Kim (*1980) und Thomas Mader (*1984) arbeiten seit sieben Jahren an Werken, die die Betrachter*innen dazu ermutigen, sich mit den Möglichkeiten und Grenzen heutiger Kommunikation auseinanderzusetzen.
Die Arbeit von Christine Sun Kim und Thomas Mader befasst sich mit unseren Wahrnehmungswelten, Kommunikationsmethoden und den Machtverhältnissen zwischen gebärdeten und gesprochenen Sprachen. Das Künstlerpaar kommuniziert in amerikanischer Gebärdensprache (ASL), jedoch mit unterschiedlichem Niveau: ASL ist Kims Muttersprache, während Mader ASL als Fremdsprache lernt.
Für die Jahrespräsentation „MGKWalls“ haben die beiden Künstler eine Wandarbeit im Museumsfoyer und eine korrespondierende Videoserie für die LED-Wand an der Außenfassade geschaffen. Das Projekt „Find Face“ ist benannt nach einer automatischen Meldung in der Gesichtsfilter-App, die für die Filme genutzt wurden. Beide Wände zeigen abwechselnd Kim und Mader, deren Gesichtsausdrücke von gezeichneten Gebärden oder eingeblendeten Mundmorphemen des Filters überlagert werden.
Die Wandarbeit im Foyer zeigt den Steigerungsverlauf für die zwei ASL-Gebärden „pretty“ (hübsch) und „ugly“ (hässlich). In der Steigerung von einer neutralen Position zu immer intensiver werdenden Ausdrücken wird für jedes Wort jeweils dieselbe Gebärde verwendet. Erst durch die entsprechende, sich verändernde Mimik erhält jede Gebärde dann ihre jeweils andere Bedeutung, von neutral hin zu extrem. Diese sich steigernde Intensität wird auch im Verlauf des farbigen Hintergrunds deutlich.
Der in den kurzen Clips auf der LED-Wand verwendete Filter begleitet die Handbewegungen und Gesichtsausdrücke der Sprechenden. Während es sich beim Filter um eine generische Software handelt, wurden die präsentieren Mundmorpheme speziell für die Arbeit erstellt. Kann sich der Filter nicht an Gesichtszüge anheften, für deren Erkennung er geschult wurde, wird die Fehlermeldung „Find Face“ angezeigt. Im Video wird durch die Hände, die die Gebärdensprachgeste ausführen, die ständige Bindung des Filters an ein Gesicht unterbrochen.
Generell stellt die Mimik eine essentielle grammatikalische Kategorie in den meisten Gebärdensprachen dar. Ironischerweise wird diese Tatsache von hörenden Menschen oft unterbewertet. Gleichzeitig aber werden im Fernsehen gezeigte Übersetzungen, z.B. in Katastrophensituationen, oft als „sehr dramatisch“ oder „wahnsinnig ausdrucksstark“ beschrieben. Komplexe Schichten und Masken zu erzeugen ist eine Fähigkeit, in der Gebärden-Muttersprachler*innen besonders versiert sind und mit der Lernende häufig zu kämpfen haben.
„Find Face“ löst mit Wörtern wie „entsetzlich“ oder „atemberaubend“ nicht nur Reaktionen aus, sondern lädt die Betrachter*innen ein, die entsprechenden Gebärden nachzuvollziehen und den Ausdruck im eigenen Gesicht zu finden. Das zweiteilige Werk schafft ein Bewusstsein für die sprachlichen, körperlichen und technischen Bedingungen einer barrierefreien Kommunikation.
Seit 2013 arbeiten Christine Sun Kim und Thomas Mader an einer gemeinsamen Praxis, die sich mit der Komplexität der Kommunikation in verschiedenen Formaten befasst. Zu ihren Projekten gehört die Aufnahme einer Übernachtlieferung von Berlin nach New York (Recording Contract, 2013), die Zusammenstellung von 24 Stunden Studiozeit für eingeladene Mitwirkende (Busy Day, 2014), das sogenannte Armspiel, einer Kombination aus Körper und Gesicht, um eine Reihe unangenehmer sozialer Situationen zu beschreiben (Classified Digits, 2016) und animierte Zeichen, die die Macht der Entscheidungsfindung zeigen (Palm Reader, 2020). Ausgewählte Gruppenausstellungen umfassen: Instituto Tomie Ohtake, São Paulo; Galerie Crone, Wien; Ian Potter Museum, Melbourne; Times Art Center, Berlin; und San Francisco Museum of Modern Art. 2018 hatten sie ihre erste Einzelausstellung in der Albright-Knox Art Gallery in Buffalo, New York.
Christine Sun Kim wurde 1980 in Orange County, USA, geboren und lebt in Berlin. Sie verwendet das Medium Ton in Performance und Zeichnung, um ihre Beziehung zu gesprochenen Sprachen und der akustischen Umgebung zu untersuchen. Thomas Mader wurde 1984 in Süddeutschland geboren und lebt in Berlin. Er ist ein forschungsorientierter Künstler, der sich mit Themen der nationalen Identität, des Erzählens und der Kommunikation beschäftigt.
Technische Unterstützung
Ravi Vasavan